Postoperative Übelkeit und Erbrechen gehören zu den unangenehmsten Nebenwirkungen einer Operation und zu gravierendsten Problemen der Anästhesie, weil das Wohlbefinden der Patienten sehr stark beeinträchtigt wird. Vielfach wird der Patient durch Übelkeit und Erbrechen sogar mehr belastet als durch die mit einem operativen Eingriff häufig einhergehenden Wundschmerzen. Außerdem verspüren die betroffenen Personen mehr Angst vor einem nächsten operativen Eingriff. In ausgeprägten Fällen können die Komplikationen derart groß sein, dass eine Entlassung nach einem ambulant geplanten Eingriff nicht möglich ist oder dass ein längerer Aufenthalt im Krankenhaus notwendig ist. Nicht verwunderlich, dass schon im Vorfeld von Operationen die größte Sorge der Patienten häufig dem möglichen Auftreten von Übelkeit und Erbrechen gilt. Der Wunsch, keine Übelkeit zu haben und nicht erbrechen zu müssen, steht auf der Prioritätenliste sogar noch vor dem Wunsch nach Schmerzfreiheit oder dem Vermeiden anderer postoperativer Probleme.
Ausgelöst wird der Brechreiz durch das Stimulieren des Brechzentrums, das sich innerhalb der Medulla oblongata befindet und zum Zentralnervensystem gehört. Bei Brechreiz oder Erbrechen handelt es sich um einen Schutzreflex des Körpers. Der Organismus geht damit gegen die bei der Narkose aufgenommenen Stoffe vor, da er die zur Betäubung dienenden Stoffe als Giftstoffe identifiziert und sich davor schützen will. Das Erbrechen dient der Entfernung der als Giftstoffe identifizierten Substanzen, und die Übelkeit verhindert eine weitere Aufnahme. Das deutliche Krankheitsgefühl führt darüber hinaus als Lerneffekt dazu, dass diese Substanzen in Zukunft gemieden werden. Im Rahmen einer Narkose ist dieser an sich sinnvolle Schutzmechanismus des Körpers natürlich ein unerwünschter Effekt.
Übrigens sind Übelkeit und Erbrechen nicht zwangsläufig miteinander verbunden. Beim Erbrechen spielen neurale Impulse eine Rolle, und Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin, Histamin und Acetylcholin sind daran beteiligt. Der Brechreflex, ein durchaus komplexer Vorgang, wird über das vegetative und motorische Nervensystem vermittelt. So kommt es zum Schließen der Stimmritze, zur Entspannung des unteren Ösophagusphinkters (Schließmuskel der Speiseröhre) und zur plötzlichen Anspannung der Bauchmuskulatur und des Zwerchfells. Die Übelkeit hingegen ist darauf zurückzuführen, dass Substanzen auf die Chemorezeptor-Triggerzone (CTZ) einwirken und gleichzeitig höhere Hirnregionen beteiligt sind. Die exakten pathologischen Abläufe der PONV sind bislang jedoch noch nicht erforscht.
Man geht heute davon aus, dass die Neigung zu PONV von unterschiedlichen Faktoren abhängig und damit sehr individuell ist. Statistisch belegt ist, dass Frauen etwa doppelt so häufig unter PONV leiden wie Männer. Und es ist erwiesen, dass Nichtraucher doppelt so häufig betroffen sind wie Raucher. Vermutlich besteht bei Rauchern ein Zusammenhang mit Veränderungen an den Dopaminrezeptoren durch eine „Gewöhnung“ an den Giftstoff Nikotin. Ebenfalls als Risikofaktoren gelten eine bereits in der Vergangenheit aufgetretene PONV sowie die Neigung zur Reisekrankheit. Hinzu kommt, dass PONV bei jüngeren Patienten häufiger beobachtet wird. Leiden im Durchschnitt etwa ein Drittel aller Patienten unter PONV, so ist die Rate bei Kindern besonders hoch, wobei die Angaben in der wissenschaftlichen Literatur stark schwanken. Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Inzidenz altersabhängig ist und insbesondere durch die Art des operativen Eingriffs bedingt wird. Kinder unter zwei Jahren sind den Erhebungen nach selten betroffen, ab dem 3. Lebensjahr steigt die Häufigkeit an und erreicht zwischen dem 5. und 9. Lebensjahr ihren Gipfel. Während bei Erwachsenen deutlich mehr Frauen als Männer unter PONV leiden, ist das Geschlecht im Kindesalter diesbezüglich nicht relevant.
Abgesehen von diesen die Patienten betreffenden Risikofaktoren sind auch die Dauer des Eingriffs und die geplante Medikation von Bedeutung. Eingriffe von mehr als 60 Minuten erhöhen das Risiko der PONV ebenso wie die postoperative Gabe von Opioiden zur Schmerzreduzierung. Als potenzielle Risikofaktoren konnten folgende Einflussfaktoren jedoch ausgeschlossen werden: der weibliche Menstruationszyklus, Witterungseinflüsse oder Adipositas. Um nun das Risiko für die als ausgesprochen belastend empfundene PONV so weit wie möglich zu senken, ist bei der Narkose-Planung eine gründliche Anamnese notwendig.
Auch die Wahl des Narkoseverfahrens und des Narkosemittels hat – dies zeigen Studien – Einfluss auf die Häufigkeit von PONV. So scheint erwiesen zu sein, dass Inhalationsanästhetika deutlich häufiger zu PONV führen als eine intravenöse Propofol-Anästhesie. Dabei ist ausschlaggebend, dass bei der intravenösen Propofol-Anästhesie auf die übelkeitserregenden Stoffe verzichtet wird. Auch der Verzicht auf Lachgas trägt demnach zu einer leichten Reduzierung des PONV-Risikos bei. Dies ist einer der Gründe, weshalb Lachgas seit Längerem kaum noch im Rahmen einer Vollnarkose verwendet wird.
Um postoperative Übelkeit und Erbrechen zu behandeln, ist mittlerweile die Gabe von Antiemetika anerkannt. Dies sind Arzneistoffe, die die Übelkeit verringern. Dazu gehört beispielsweise das Kortikosteroid Dexamethason, das auch bei erhöhtem PONV-Risiko mit anderen Wirkstoffen kombiniert werden kann.
Studien zufolge kann auch Akupressur gegen postoperative Übelkeit helfen. Es gibt spezifische Akupressur-Punkte, die mit Übelkeit und Erbrechen in Verbindung gebracht werden. Das Stimulieren dieser Punkte kann dazu beitragen, diese Symptome zu reduzieren. Ein bekannter Akupressur-Punkt zur Linderung von Übelkeit und Erbrechen ist der Punkt „Nei Guan“ oder „Perikard 6“ (P6). Der Punkt befindet sich auf der Innenseite des Unterarms, etwa drei Fingerbreit unterhalb der Handgelenksfalte zwischen den beiden Sehnen. Durch sanften Druck oder Massage auf diesen Punkt kann Übelkeit reduziert werden.
Auch wenn PONV seit Beginn der modernen Anästhesiologie im 19. Jahrhundert als unerwünschte Begleiterscheinung bekannt ist, stellt sie heute immer noch ein relevantes Problem dar und sollte keinesfalls bagatellisiert werden. In den meisten Fällen ist PONV durch genaue Anamnese und Planung der Narkose vermeidbar. Tritt dennoch Übelkeit auf, wird diese durch weitere Medikamenten- sowie Flüssigkeitsgabe behandelt.
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Gastautor: Tom Kurthen, Facharzt für Anästhesiologie, Klinik LINKS VOM RHEIN
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe DIE WIRTSCHAFT 06.2023
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