Mal ehrlich, welcher junge Mensch denkt schon gerne an Altersheime und Pflegeeinrichtungen? Aber wer hat nicht in seiner Umgebung liebe Bekannte und Verwandte, die vor der Entscheidung stehen, welche Einrichtung zu ihnen passt? Nach welchen Kriterien sucht man sich die richtige Einrichtung aus? Vielleicht finden Sie hier die richtigen Antworten?
Das Image mag da sein, aber Pflegeeinrichtungen sind alles andere als Goldgruben, nicht umsonst stehen viele vor der Insolvenz. Wie bei so vielen Problemen hat die Politik viele Jahre erfolgreich die Faktenlage ignoriert. Auch hier wuchert die überbordende Bürokratie, die viele gute Ansätze zunichtemacht. Wir stellen hier eine Pflegeeinrichtung vor, den Lebensbaum, die im Rheinisch-Bergischen und Oberbergischen Kreis einen sehr guten Ruf genießt. Gründer und Geschäftsführer Bernhard Rappenhöner und Betriebsleiter Thomas Voss geben uns auf unsere Fragen sehr interessante und ehrliche Antworten zur Lage der Pflege.
DIE WIRTSCHAFT: Es gibt kaum einen Wirtschaftsbereich, der so herausragende Basis-Voraussetzungen bietet wie der Markt der Seniorenzentren und Pflegeheime. Seit Jahrzehnten ist die demografische Entwicklung bekannt. Man sollte meinen, Firmen, die Seniorenzentren und Pflegeheime betreuen, schwimmen im Geld. Schließlich sprechen wir von einem Marktvolumen von weit über 70 Milliarden Euro. Stattdessen liest man immer wieder von Insolvenzen bei Seniorenzentren. Für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Woran liegt das?
Bernhard Rappenhöner: Nein, die Branche schwimmt nicht im Geld. Natürlich ist es ein immer größer werdender Markt, da die Nachfrage durch die alternde Bevölkerung kontinuierlich steigt. Allerdings haben gerade die letzten politischen Eingriffe, wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, zu einer Versechsfachung der Insolvenzen geführt. Diese Maßnahmen, oft als kurzfristige Reaktionen auf akute Probleme, haben die finanzielle Lage vieler Einrichtungen erheblich belastet. Die gestiegenen Betriebskosten, resultierend durch Inflation, allgemeine Preisentwicklung und die Einführung der Tariftreue, die oft nicht ausreichend durch die Kassen refinanziert werden, verschärfen die Situation zusätzlich. Daher kann die Lage in der Pflegebranche als dramatisch bezeichnet werden.
DIE WIRTSCHAFT: Die überalterte Gesellschaft Deutschlands macht sich nicht nur in den Sozialsystemen zunehmend bemerkbar. Wer hat sich denn da schlecht vorbereitet? Welche Auswirkungen hat das auf die gesamte Branche?
Thomas Voß: Der demografische Wandel ist seit mehr als 20 Jahren bekannt und wurde insbesondere in der Pflegebranche seither intensiv diskutiert. Dennoch scheint es, als ob die Auswirkungen auf die Pflege nicht als gravierend genug eingeschätzt wurden. Eine strategische und vorausschauende Vorbereitung auf diese Entwicklung blieb weitgehend aus. In den letzten Jahren wurden immer wieder nur akute Ad-hoc-Maßnahmen ergriffen, ohne eine langfristige Perspektive zu berücksichtigen. Diese kurzfristigen Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um die strukturellen Probleme der Branche zu lösen. Die mangelnde langfristige Planung hat dazu geführt, dass viele Einrichtungen nun vor erheblichen Herausforderungen stehen.
DIE WIRTSCHAFT: Man hört immer wieder von Personalproblemen. Es sollen Zigtausende offene Stellen geben. Wie kann man dem begegnen?
Thomas Voß: Wir haben insgesamt einen Fachkräftemangel, der auch die Pflegebranche stark betrifft. Verschiedene Reformen haben versucht, mehr Personen für eine Pflegeausbildung zu gewinnen und den Beruf attraktiver zu machen. Leider sind die Ausbildungszahlen rückläufig, was darauf hinweist, dass diese Bemühungen nicht ausreichend waren. Zudem wurden verstärkt Anstrengungen unternommen, ausländische Pflegefachkräfte zu gewinnen. Insgesamt wird es jedoch notwendig sein, als Gesellschaft verschiedene Maßnahmen zu ergreifen: weitere Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, Prozesse verschlanken, Eigeninitiative fördern sowie Nachbarschaftshilfe und familiäre Unterstützung intensivieren. Auch Schulungen und Anleitungen zur pflegerischen Versorgung können dazu beitragen, den Bedarf zu decken.
DIE WIRTSCHAFT: Vermutlich ist es eine Melange an Problemen, welche die Pflegeheime vor exorbitante Herausforderungen stellen. Wo sehen Sie die Hauptprobleme der Branche?
Bernhard Rappenhöner: Neben dem Fachkräftemangel sind dies die überbordende Bürokratie sowie die fehlende Refinanzierung der gestiegenen Kosten. Diese Faktoren führen dazu, dass die eigentliche Zeit für die Pflege immer geringer wird, während die Zahl der zu versorgenden Menschen immer weiter zunimmt.
DIE WIRTSCHAFT: Das Image der Seniorenzentren ließ ja früher zu wünschen übrig. Nun gibt es zertifizierte Heime. Nach welchen Kriterien sollte man sich eine Pflegeeinrichtung aussuchen, ausschließlich nach MDK-Siegel?
Bernhard Rappenhöner: Eine Pflegeeinrichtung sollte auf verschiedenen Ebenen qualitativ hochwertig sein: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sind wichtige Kriterien. Strukturqualität bezieht sich auf die räumliche und personelle Ausstattung der Einrichtung. Prozessqualität umfasst die Abläufe und Verfahren im Pflegealltag. Ergebnisqualität misst den Erfolg der Pflege. Diese fachlichen Aspekte sind zwar wichtig, spiegeln jedoch nicht immer vollständig wider, was Pflegebedürftige und ihre Angehörige sich wünschen.
Zertifizierungen haben sicherlich dazu beigetragen, das Niveau der Pflegeheime zu steigern, da sie Mindeststandards festlegen und deren Einhaltung kontrollieren. Dennoch sollten sich Angehörige nicht ausschließlich auf diese Siegel verlassen. Daher ist es entscheidend, die eigenen Bedürfnisse klar zu formulieren und sich persönlich ein Bild von der Einrichtung zu machen.
DIE WIRTSCHAFT: Was raten Sie Menschen, die sich darauf vorbereiten, für einen Angehörigen einen Pflegeplatz zu suchen?
Thomas Voß: Beginnen Sie frühzeitig mit der Suche nach einem geeigneten Pflegeplatz. Informieren Sie sich gründlich über verschiedene Einrichtungen und deren Angebote. Wichtig ist es, sich einen eigenen Eindruck von der Einrichtung zu verschaffen. Nutzen Sie persönliche Besuche, um sich einen Eindruck zu verschaffen und Gespräche mit dem Personal und den Bewohnern zu führen. Achten Sie auf die Atmosphäre, den Umgang des Personals mit den Bewohnern und die Sauberkeit der Räumlichkeiten. Klären Sie auch die finanzielle Seite und informieren Sie sich über mögliche Unterstützungsmöglichkeiten. Es ist wichtig, alle relevanten Informationen zu sammeln, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.
DIE WIRTSCHAFT: Für immer mehr Menschen stellt die finanzielle Unterstützung für pflegebedürftige Angehörige ein kaum zu überwindendes Problem dar. Sind Pflegeplätze bald nicht mehr bezahlbar?
Thomas Voß: Die Durchschnittskosten im stationären Pflegebereich sind bereits jetzt für viele Menschen kaum noch bezahlbar. Die Preisentwicklung der letzten Jahre hat die finanzielle Belastung für Pflegebedürftige und deren Angehörige erheblich erhöht. Immer mehr Menschen sind daher auf Sozialhilfe angewiesen, um die Kosten zu decken. Genau um diese Abhängigkeit zu vermeiden, wurde 1995 die Pflegeversicherung eingeführt. Die ursprüngliche Idee war zu verhindern, dass eine ganze Gesellschaftsschicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist eine grundlegende Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung notwendig. Hier ist die Politik gefordert, um tragfähige Lösungen zu finden.
DIE WIRTSCHAFT: Wir reden in Deutschland viel über verschlafene Digitalisierung. Ist das auch in der Pflege so?
Bernhard Rappenhöner: Ja, auch in der Pflege sind wir im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung noch weit zurück. In Bezug auf elektronische Patientenakten und die Anbindung an die Telematikinfrastruktur stehen wir erst am Anfang. Diese Potenziale müssen jedoch gehoben werden, um Prozesse zu optimieren und die Effizienz zu steigern. Das Lebensumfeld der Menschen wird sich immer weiter verändern, und so wie es heute normal ist, ein Handy zu haben, wird es in Zukunft auch normal sein, digitale Helfer in der Pflege zu nutzen. Eine stärkere Digitalisierung könnte viele Abläufe vereinfachen und die Pflegequalität verbessern.
DIE WIRTSCHAFT: Wird es das klassische Altenheim in Zukunft noch geben?
Bernhard Rappenhöner: Die Pflege wird individueller werden, und vermutlich werden sich Quartiers- und Campuseinrichtungen durchsetzen. Diese Modelle bieten eine integrierte Versorgung, die verschiedene Dienstleistungen und Wohnformen miteinander kombiniert. Solche Einrichtungen fördern die Gemeinschaft und ermöglichen es den Bewohnern, in einem vertrauten Umfeld zu bleiben, während sie die notwendige Unterstützung erhalten. Die klassische Form des Altenheims wird daher wahrscheinlich durch flexiblere und anpassungsfähigere Modelle ersetzt werden, die besser auf die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen eingehen.
(Eugen Weis)
Bildquellen
- Pflegebedarf trifft auf Realität: Jörg Zülich
- Amulante Pflege Serie 01: Jörg Zülich