Interview

Kraftanstrengung Klimaneutralität

Nordrhein-Westfalen will bis spätestens zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Als Industrieland bedeutet das eine besondere Kraftanstrengung. Um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen, hat das Land im Jahr 2021 die Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz gegründet. Am 1. Januar 2022 hat NRW.Energy4Climate das operative Geschäft aufgenommen. Ulf C. Reichardt, Vorsitzender der Geschäftsführung, zieht im Gespräch eine Bilanz nach knapp zwei Jahren Bestehen und gibt einen Ausblick auf die kommenden Jahre.

DIEWIRTSCHAFT: Herr Reichardt, eine Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz – was darf man sich darunter vorstellen?

Ulf C. Reichardt: Der Schutz unseres Klimas ist die drängendste Aufgabe unserer Zeit. Wenn wir bis 2045 klimaneutral sein wollen, müssen wir an allen Stellschrauben gleichzeitig drehen. Eine Landesgesellschaft ist hierbei genau die richtige Organisationsform, um den Umbau aktiv zu begleiten.

DIEWIRTSCHAFT:  Was ist der Auftrag von NRW.Energy4Climate?

Ulf C. Reichardt: Wir wollen ein starker und verlässlicher Partner für ein klimaneutrales Nordrhein-Westfalen sein. Das bedeutet: Nach außen gerichtet sind wir Ansprechpartner für Kommunen, Unternehmen und die Industrie, wenn es darum geht, wegweisende Projekte umzusetzen. Und nach innen gerichtet tragen wir die Probleme und Hemmnisse, von denen uns die Unternehmen und Kommunen berichten, in die Politik hinein, um so die besten Lösungen zu finden. Unser Ziel ist, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu senken und dabei gleichzeitig den Industrie- und Dienstleistungsstandort Nordrhein-Westfalen für die Zukunft zu stärken und die Chancen der Transformation zu nutzen.

DIEWIRTSCHAFT: Wie wollen Sie das erreichen?

Ulf C. Reichardt: Unser Hauptaugenmerk liegt auf den vier am stärksten emittierenden Sektoren Energiewirtschaft, Industrie und Produktion, Wärme und Gebäude sowie Mobilität. Denn sie allein sind für 90 Prozent der Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen verantwortlich.

Daneben sind wir in Querschnittsbereichen aktiv: Gerade die Kommunen spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Wärmewende, den Ausbau klimafreundlicher Mobilität oder die Attraktivität von Wirtschaftsstandorten geht. Um die Kommunen bestmöglich beim Klimaschutz zu unterstützen, sind wir mit unseren

NRW.Klimanetzwerker:innen im ganzen Land vertreten. Im Bereich der klimaneutralen Landesverwaltung begleiten wir die rund 540 Behörden und Einrichtungen mit ihren 150.000 Beschäftigten dabei, bis 2030 klimaneutral zu werden. Im Bereich der Klimabildung unterstützen wir Schulen und Kitas. Und der Bereich Internationale Kooperationen treibt internationale Partnerschaften und Geschäftsbeziehungen voran.

NRW.Energy4Climate informiert und unterstützt

DIEWIRTSCHAFT: Sie sagen, Sie sind Ansprechpartner für Kommunen, Unternehmen und Industrie. Was bieten Sie Unternehmen denn konkret an?

Ulf C. Reichardt: NRW.Energy4Climate informiert und vernetzt die für die Energiewende relevanten Akteure und bietet ihnen Workshops, Hilfestellungen und Online-Tools an. Das Förder.Navi gibt beispielsweise einen umfangreichen Überblick über vorhandene Förderprogramme des Landes, des Bundes oder der EU. Wie Unternehmen z. B. von Photovoltaik auf ihrem Gewerbedach profitieren, zeigen wir ganz praktisch als Partner der „Photovoltaik-Offensive“ des Landes und bieten praxisnahe Leitfäden zum Thema. Auch für die Strategieentwicklung, um als produzierendes Unternehmen auf klimafreundliche Prozesswärme umstellen zu können, bieten wir Material. Über unsere NRW.Klimanetzwerker:innen sind wir übrigens sehr nah dran an den Unternehmen, deren Bedarfe und Probleme wir direkt mitbekommen und an die relevanten Stellen in Politik und Verwaltung weitertragen können. Ein besonderes Anliegen ist es uns, Projekte zu finden, die als Blaupause für andere dienen können. Unsere Projektmanagerinnen und -manager sind deswegen stets dabei, die besten Projekte in NRW zu identifizieren und sie übertragbar für alle zu machen.

DIEWIRTSCHAFT: Und was bieten Sie der Industrie?

Ulf C. Reichardt: Eines unserer größten Projekte ist der Industriepakt. Das ist ein Zusammenschluss der produzierenden Industrie NRWs, von Verbänden, Technologieanbietern, der Wissenschaft und der Politik, die gemeinsam am Ziel eines klimaneutralen Industriestandortes NRW arbeiten wollen. Nach dem Kick-off im März dieses Jahres hat der Industriepakt als Teil unseres Industrie-Thinktanks IN4climate.NRW die aktive Arbeit aufgenommen. Mit dem Industriepakt wollen wir konkrete Transformationspfade entwickeln, Best-Practice-Beispiele aufzeigen, Hemmnisse identifizieren und abbauen und Blaupausen für die Industrie erarbeiten. Bis heute haben sich schon mehr als 50 Partnerunternehmen und -institutionen dem Industriepakt angeschlossen.

DIEWIRTSCHAFT: Wenn Sie auf die letzten beiden Jahre zurückblicken – was haben Sie bislang erreicht?

Ulf C. Reichardt: Wir haben Anfang 2022 unser operatives Geschäft mit rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgenommen. Inzwischen sind wir mehr als 100. Parallel zu diesem personellen Wachstum haben wir unser inhaltliches Portfolio geschärft, strategische Partnerschaften aufgebaut, Büros in neun Regionen in NRW eröffnet, weit mehr als 300 größere und kleinere Veranstaltungen und Workshops durchgeführt und zahlreiche Projekte angestoßen, begleitet oder selbst umgesetzt. Wir haben Online-Tools entwickelt und geben in inzwischen mehr als 50 Publikationen unterschiedlichsten Formats Hilfestellungen. Und natürlich haben wir alle unsere Prozesse vollständig digital und papierlos aufgesetzt. Das alles geht zurück auf ganz viel Eigeninitiative und ein riesiges Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf das ich wirklich stolz bin!

Flexibles und digitales Arbeiten bei der Landesgesellschaft

DIEWIRTSCHAFT: Sie sprechen Ihr starkes Wachstum an – ist es für Sie als Landesgesellschaft schwierig, in Zeiten des Fachkräftemangels geeignetes Personal zu finden?

Ulf C. Reichardt: Auch wir bemerken den Fachkräftemangel. Als Gesellschaft des Landes NRW haben wir finanziell weniger Spielraum als ein Unternehmen am freien Markt. Dafür bieten wir andere Benefits: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort an jedem Tag der Woche komplett frei wählen, von zu Hause arbeiten oder in einem unserer Büros in ganz NRW. Oder von einer Parkbank, wenn sie dort konzentriert arbeiten können und einen Stromanschluss haben … Wir bieten einen krisensicheren Arbeitsplatz und eine Vergütung in Anlehnung an den Tarifvertrag der Länder. Und nicht zuletzt bieten wir eine sinnstiftende Tätigkeit. Dass sich dies durchaus auf die Zufriedenheit meiner Kolleginnen und Kollegen auswirkt, zeigt sich übrigens auch an unserem kununu-Score …

DIEWIRTSCHAFT: … die Online-Plattform kununu, auf der Arbeitgeber anonym bewertet werden können …

Ulf C. Reichardt: … der bei 4,7 von 5 Punkten liegt. Damit sind wir in den Top 10 der Arbeitgeber in Düsseldorf. Und unser Krankenstand liegt in einem sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich, was sicher auch Zeichen für überdurchschnittliche Motivation und Engagement ist.

DIEWIRTSCHAFT: Kommen wir von Düsseldorf nach Köln: Was bieten Sie speziell im Kölner Raum?

Ulf C. Reichardt: Im Raum Köln/Bonn sind wir ebenfalls mit zwei Klimanetzwerkerinnen vertreten. Diese bringen Bezirk, Landesebene und Regionalpartner zusammen. In Köln unterstützen sie darüber hinaus zum Beispiel den Green Gastro Guide des IG Kölner Gastro e. V. bei fachlichen Fragestellungen und der Bekanntmachung. Der Green Gastro Guide bietet den rund 500 Mitgliedsbetrieben der Initiative einen einfachen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit. Auch das „Klimaveedel“ unterstützen wir. Die Initiative der RheinEnergie Köln hat in Kooperation mit der Stadt, der Technischen Hochschule und den Wohnungsbaugesellschaften ein Reallabor in Köln-Neubrück ins Leben gerufen, in dem Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung umgesetzt werden sollen. Und mit dem Flughafen Köln/Bonn stehen wir im engen Austausch, damit dieser sein Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, bestmöglich erreicht.

DIEWIRTSCHAFT: Geben Sie uns zum Schluss einen Ausblick: Klimaneutralität in 2045 – ist das überhaupt schaffbar?

Ulf C. Reichardt: NRW.Energy4Climate ist an den Start gegangen, um die klimaneutrale Zukunft mitzugestalten. Die Transformation ist eine gewaltige, aber lösbare Aufgabe. Wenn wir gemeinsam unsere Kräfte bündeln und alle an einem Strang ziehen, bin ich davon überzeugt, dass wir im Jahr 2045 sagen können: Wir haben es geschafft!

DIEWIRTSCHAFT:  Herr Reichardt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

NRW.Energy4Climate

NRW.Energy4Climate ist die Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie bündelt Kräfte und Ressourcen in den vier am stärksten emittierenden Sektoren Energiewirtschaft, Industrie & Produktion, Wärme & Gebäude und Mobilität, die gemeinsam für mehr als 90 Prozent der Treibhausgasemissionen in NRW verantwortlich sind. Ziel ist es, die Transformation sektorenübergreifend so zu beschleunigen, dass Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich klimaneutral und gleichzeitig als Industrie- und Dienstleistungsstandort für die Zukunft gestärkt wird.

Weitere Informationen unter www.energy4climate.nrw

Ansprechpartnerinnen vor Ort sind die NRW.Klimanetzwerkerinnen der Landesgesellschaft:

Marion Marschall-Meyer: marion.marschall-meyer@energy4climate.nrw, +49 211 822 086-475

Astrid Mühlenbrock: astrid.muehlenbrock@energy4climate.nrw, +49 211 822 086-412

 

 

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe DIE WIRTSCHAFT 08.2023 

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