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Interview mit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Wir brauchen eine stärkere Wirtschaft!“

by Redaktion
Seit einem Jahr leitet OB Henriette Reker einen Verwaltungsapparat von 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. - copyright: Alex Weis
Oberbürgermeisterin der Stadt Köln Henriette Reker im Gespräch mit "Die Wirtschaft Köln"-Redakteurin Astrid Waligura und Verleger Eugen Weis. - copyright: Alex Weis

Oberbürgermeisterin der Stadt Köln Henriette Reker im Gespräch mit „Die Wirtschaft Köln“-Redakteurin Astrid Waligura und Verleger Eugen Weis.
copyright: Alex Weis

Die Wirtschaft Köln im Gespräch mit der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker über die fortschreitende Digitalisierung, mehr Bürgerbeteiligung und ihre Rolle als Verwaltungschefin. Am 18. Oktober 2015, also vor etwa einem Jahr, wurde Henriette Reker zur Kölner Oberbürgermeisterin gewählt. Im Exklusivinterview mit Die Wirtschaft Köln zieht die neue Verwaltungschefin eine erste Amtsbilanz.

Die Wirtschaft Köln: Schon nach 100 Tagen im Amt wurde Kritik laut. Es hieß, Sie hätten keinen Masterplan. Wie stehen Sie dazu?

Henriette Reker: Einen Masterplan, der auch stabil sein soll, sollte man für ein so komplexes Gebilde wie eine Millionenstadt nicht nur der Geschwindigkeit wegen aus dem Hut zaubern, sondern mit Bedacht entwickeln.

Die Wirtschaft Köln: Wie funktioniert das in einer Verwaltung?

Henriette Reker: Einen Masterplan verstehe ich als das Zusammenfügen von verschiedenen Zielen, dazu gehören für mich Wohnungspolitik, Verkehrsinfrastruktur, Bildung – also der Bau von Schulen –, das alles braucht Strukturen in der Verwaltung. Aber es gehört auch generell ein Umdenken in der gesamten Verwaltung dazu.

Die Wirtschaft Köln: Welche Schritte sind Sie bereits gegangen?

Henriette Reker: Wir haben das Amt des Flüchtlingskoordinators geschaffen, die Wohnungsbauleitstelle ist ausgeschrieben, es wird einen Verkehrsdezernenten geben, es ist die Funktion des Sozialdezernenten neu besetzt. Ich habe mit allen Amtsleitern in einem ersten Gespräch die grundsätzlichen Ziele der Verwaltungsreform besprochen. Es existiert eine Vorlage zur Verteilung von Flächen, darüber hinaus ein Stadtentwicklungsplan. Das alles zusammen ergibt für mich einen Masterplan. Und der ist nicht in 100 Tagen zu schaffen, nicht für eine Verwaltung von 17.000 Mitarbeitern.

Henriette Reker: „Wir können nicht weiter über unsere Verhältnisse leben. Ansonsten ist für die kommenden Generationen kein Geld mehr da.“

Die Wirtschaft Köln: Sie haben außerdem einen Doppelhaushalt für 2016/2017 verabschiedet. Wie kritisch stehen Sie dem Thema Kölner Finanzen gegenüber?

Henriette Reker: Köln verbraucht in den letzten Jahren immer knapp fünf Prozent seines Eigenkapitals. Wenn die Einnahme-Ausgabe-Situation so weit voneinander entfernt ist wie jetzt, dann wird das gefährlich. Unser Eigenkapitalverzehr wird ja immer dynamischer. Am Ende ist für die kommenden Generationen kein Geld mehr da.

Die Wirtschaft Köln: Ihr Fazit?

Henriette Reker: Wir können nicht weiter über unsere Verhältnisse leben. Und dieser Haushalt, den ich eingebracht habe, ist ein erster Schritt, um das mal zu ändern. Wir müssen nach der Realität planen, Schluss machen mit der Überplanung. Seit der Sommerpause geht es darum, eine Strategie aufzustellen.

Die Wirtschaft Köln: Was ist schief gelaufen?

Henriette Reker: Köln hat sich in den letzten Jahren viele Großprojekte geleistet, das ist schön für die Stadt, aber man muss darüber nachdenken, dass man laufende Großprojekte erst mal zu Ende führt, bevor man neue in Angriff nimmt.

Die Wirtschaft Köln: Worauf richten Sie als neue Oberbürgermeisterin der Stadt den Fokus?

Henriette Reker: Wir brauchen eine stärkere Wirtschaft. Und deshalb müssen wir auch unsere politischen Entscheidungen an der Wirtschaft ausrichten. Unternehmen gehen in die Städte, in denen sie auf Leistungsbereitschaft bauen können, aber auch auf attraktive Angebote für ihre Mitarbeiter, also, Kitaplätze, gute Schulen, kulturelle Angebote etc.

„Wir müssen die Digitalisierung weiter voran treiben.“

Die Wirtschaft Köln: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Digitalisierung?

Henriette Reker: Von Köln geht ein großes Signal aus. Wir haben uns beispielsweise erfolgreich um einen der insgesamt sechs digitalen Hubs für NRW beworben, planen also für den Digital Hub Cologne mit insgesamt 1,5 Millionen Euro an Fördermitteln. Das ist enorm wichtig, um unsere Bemühungen, Brücken zwischen Old und New Economy zu bauen, zu verstärken und den Wirtschaftsstandort weiter zu sichern. Es gibt leider immer noch viele Mittelständler, die beim Thema Digitalisierung zurückhaltend sind. Und die müssen wir mitnehmen.

Die Wirtschaft Köln: Prozesse vereinfachen und beschleunigen heißt die Devise in Sachen Digitalisierung auch beim Bürgerservice. Welche neuen Projekte sind in Arbeit?

Henriette Reker: Das sind gleich drei Projekte. Beim ersten geht es um den Aspekt der Barrierefreiheit, die aber auch allen nutzt. Bis Ende September wurde das Angebot von Informationen in leichter Sprache auf die 50 meist gesuchten Dienstleistungen online ausgebaut. In leichter Sprache, weil – seien wir ehrlich – viele Formulare und Antragsbedingungen wirklich schwer zu verstehen sind. Bis Jahresende werden darüber hinaus Erklärvideos in Gebärdensprache für zunächst zehn bis zwölf Dienstleistungen bereitgestellt.

Die Wirtschaft Köln: Worum geht es bei den anderen beiden Projekten?

Henriette Reker: Wir werden eine Online-Beteiligung in der Bauleitplanung schaffen. Mit einem neuen Online-Verfahren soll die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung in der Bauleitplanung einfach bürgerfreundlicher gestaltet werden. Bürgerinnen und Bürger erhalten künftig die Möglichkeit, im Internet über eine interaktive Kartendarstellung zeit- und ortsunabhängig Stellungnahmen zu Bebauungs- oder Flächennutzungsplänen abzugeben.

Damit verbunden ist eine deutlich verbesserte öffentlichkeitswirksame Information über die städtischen Bauleitplanungen, die den Kölnerinnen und Kölnern eine zielgerichtete und bequeme Suche bietet. Es ist geplant, das Verfahren in 2016 mit einem Pilotversuch zu starten. Anschließend soll die flächendeckende Einführung geprüft werden.

Beim dritten Projekt geht es um die Einrichtung des sogenannten Servicekonto.NRW.

Die Wirtschaft Köln: Können Sie das näher erläutern bitte?

Henriette Reker: Der KDN – Dachverband kommunaler IT-Dienstleister – bietet mit der noch für das Jahr 2016 geplanten Einrichtung des Servicekonto.NRW eine zusätzliche digitale Erleichterung an: ein Dienst, bei dem sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Personalausweis einfach nur einmal anmelden, um gegenüber der Verwaltung in allen Lebenslagen bestätigen zu können, wer sie sind.

Ihnen wird eine Single-Sign-On-Anmeldung ermöglicht, wie es die Nutzerinnen und Nutzer im E-Commerce bereits gewohnt sind. Damit können sich in Zukunft Einwohner beispielsweise online an- und ummelden, Elterngeld oder BaföG beantragen oder Gewerbeangelegenheiten erledigen, ohne dass ein Gang zum Amt notwendig wird oder Anträge ausgedruckt, unterschrieben und per Post an die Verwaltung gesendet werden müssen. Thematisch sind wir bereits nah am Bürger dran.

Die Oberbürgermeisterin ruft zum Dialog auf: „Bürgerbeteiligung ja, aber bitte von Anfang an.“

Seit einem Jahr leitet OB Henriette Reker einen Verwaltungsapparat von 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. - copyright: Alex Weis

Seit einem Jahr leitet OB Henriette Reker einen Verwaltungsapparat von 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
copyright: Alex Weis

Die Wirtschaft Köln: Sie wollen noch näher und haben die neue Dialogreihe „Stadtgespräche“ initiiert. Was bezwecken Sie damit?

Henriette Reker: Also, ich bin ja der Meinung, dass wir eine stärkere Bürgerbeteiligung brauchen, die verbindlich ist, aber auch ihre Grenzen aufzeigt. Es kann nicht sein, dass wir Prozesse durch die Gremien bringen, beschließen und dann gibt es eine Bürgerbeteiligung und wir kommen nie mehr zu einem Ergebnis. Deswegen sage ich: Bürgerbeteiligung ja, aber bitte von Anfang an. Ich möchte beim Prozess der Bürgerbeteiligung als Oberbürgermeisterin direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt kommen, also Face to Face.

Die Wirtschaft Köln: Wo finden diese Dialoge statt?

Henriette Reker: In allen neun Stadtbezirken. Im Wesentlichen geht es darum, welche Wege es gibt, Bürger an Prozessen zu beteiligen. Das wollen wir gar nicht vorgeben. Junge Menschen erreicht man anders als ältere und diese wiederum anders als Menschen mit Migrationshintergrund. Alle Ergebnisse dieser Bürgergespräche werden zusammengenommen und wir werden im nächsten Jahr dann so weit sein, dass wir dem Rat einen Beschluss vorlegen können, wie Bürgerbeteiligung in Köln in Zukunft aussehen soll.

Die Wirtschaft Köln: Was muss sich in Köln ändern?

Henriette Reker: Wir müssen uns alle mehr „committen“, also Position beziehen und unsere Stadt pflegen. Es steht nicht von ungefähr über der Nord-Süd-Fahrt „Liebe Deine Stadt“. Da steckt ja auch was hinter, das weiß ich.

Die Wirtschaft Köln: Sich „committen“ – was heißt das konkret für Sie selbst und Ihre Position als Oberbürgermeisterin?

Henriette Reker: Ich will die Verwaltung professionell managen, da habe ich mich von Anfang an klar positioniert. Mir kommt es dabei auf Einsatzbereitschaft und auf die beste Idee an und nicht auf das Parteibuch.

Die Wirtschaft Köln: Wie halten Sie es mit Ihrer Repräsentationsfunktion, zum Beispiel im Karneval?

Henriette Reker: Ich werde bei Weitem nicht so viel unterwegs sein wie meine Vorgänger. Es gibt in der Verwaltung genug zu tun. Ich bin einfach nicht mehr leistungsfähig, wenn ich jeden Abend bis in die Puppen unterwegs bin. Also werde ich jedes Jahr nach einem anderen Gestaltungskriterium aussuchen, zu welchen Karnevalsveranstaltungen ich gehe. Da bitte ich alle Kölnerinnen und Kölner, das zu verstehen.

Astrid Waligura / Eugen Weis

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