Seine Finger fliegen über die Tastatur, während sein Blick konzentriert auf dem Bildschirm des Computers ruht. Immer wieder schielt er hinüber zum Telefon. Andreas Schäfer ist Leiter der Außenwirtschaftsberatung der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. Als Brexit-Beauftragter betreut er kleinere sowie größere Unternehmen, die mit der britischen Wirtschaft verzahnt sind. Mit jedem Anruf aus Großbritannien und jeder neuen Entwicklung bezüglich des Brexits könnte sich seine Arbeitsweise verändern.
Mittels Checklisten, fachkundiger Ansprechpartner sowie Informationen bereitet die IHK Köln die betroffenen Unternehmen auf mögliche Konsequenzen des Brexits vor. „Die Exporte, aber auch Importe sind schon aufgrund der Brexit-Entscheidung der britischen Wähler zurückgegangen. Die Unternehmen überlegen jetzt schon sehr intensiv, wie sie mit der Zukunft umgehen.“ Schäfer wählt seine Worte mit Bedacht.
Ungewisse Zukunft für Oldtimer-Fans
So zum Beispiel die englische Oldtimer-Werkstatt von Aron Koch in Brühl: Laute Motorengeräusche erklingen, die Luft riecht nach Öl und Benzin. Zahlreiche Oldtimer sind nebeneinander aufgereiht, der eine älter und prächtiger als der andere. Bentley, Jaguar, Aston Martin – in Koch´s Garage sind alle englischen Luxusmarken vertreten. Im hinteren Teil des weitläufigen Raumes steht Aron Koch, Kfz-Meister und Geschäftsführer der Oldtimer-Werkstatt.
Das Werkzeug liegt fest in seiner Hand, während er konzentriert an einer geöffneten Motorhaube arbeitet. „Ich habe mich auf die Oldtimer-Restauration spezialisiert, weil ich es sehr wichtig finde, alte Fahrzeuge am Leben zu erhalten […] und Sachen wirklich noch zu reparieren und nicht einfach nur stupide Teile zu tauschen“, erzählt Koch. Er hat vor Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht und sich auf die Restauration von britischen Oldtimern spezialisiert.
Kunden fragen: Wie wird es weitergehen?
Die Ersatzteile, die in den Autos verarbeitet werden, bezieht er von Händlern aus England, also direkt von dort, wo die Hersteller sitzen, da die Preise in Deutschland erheblich höher sind. Zurzeit verläuft der Transfer der Bestellungen einfach und ohne Probleme – dies wird sich durch den Brexit jedoch wahrscheinlich ändern. Die ersten Folgen kann man bereits heute spüren.
Obwohl die Frist für den Brexit bis zum 31. Oktober verlängert wurde, verbreiten sich unter den Besitzern und Fans von britischen Oldtimern erste Sorgen, was die Zukunft anbelangt. „Viele Kunden, die Überlegungen haben, noch ein englisches Fahrzeug zu kaufen, fragen natürlich an: Wie wird´s weitergehen?“
Sie haben Angst, dass die Preise für Ersatzteile steigen oder ob man überhaupt noch welche bekommen kann, und überlegen sich nun besser, ob es sich für sie lohnt, einen Oldtimer zu kaufen. Das würde natürlich auch Kochs Arbeit stark beeinflussen und erschweren. Doch Antworten gibt es momentan keine. Bis der Brexit-Deal nicht in trockenen Tüchern ist, werden viele Fragen offenbleiben, weil niemand genau sagen kann, was passieren wird.
Lieferbeziehungen neu strukturieren und überdenken
Doch das sind nicht die einzigen Auswirkungen des Brexits auf die deutsche Wirtschaft. Laut Schäfer sind vor allem der sekundäre und der tertiäre Sektor betroffen. In erster Linie bereiten Personalveränderungen, Liefer- und Wertschöpfungsketten den Unternehmen Kopfzerbrechen. Neue Zollverordnungen könnten Transport- und Lieferwege der Waren verzögern, so Schäfer von der IHK.
Zwar seien vor allem größere Unternehmen von den Konsequenzen betroffen, doch auch kleinere Firmen leiden bereits jetzt unter den Folgen des Brexits. Der Automobilsektor sowie Geschäfte, die sich auf britische Lebensmittel spezialisieren und damit auf „just in time“-Lieferungen angewiesen sind, müssten ihre Lieferbeziehungen neu strukturieren und überdenken.
Durch den Brexit wird zwangsläufig alles teurer
Aron Koch hat sich genau mit dieser Frage bereits beschäftigt: „Wir haben unten in England Kontakte zu Händlern und Lieferanten, wo wir hingehen, telefonisch oder per Internet Teile bestellen. Und ja, das läuft dann sehr einfach über Kreditkartenzahlungen oder per PayPal und die Teile können dann problemlos verschickt werden.“ Das wird nach dem Brexit aber wahrscheinlich in dieser Form nicht mehr möglich sein. Denn sobald England nicht mehr zur EU gehört, muss Koch einen Einfuhrzoll von zehn Prozent bezahlen, wie es bei Gütern außerhalb der EU üblich ist. Dazu werden im Anschluss noch die 19 Prozent Mehrwertsteuer aufgerechnet.
Durch den Brexit wird also zwangsläufig alles teurer werden, worunter nicht nur die Kunden von Koch´s Garage, sondern auch Aron Koch persönlich leiden wird. Er sieht die möglichen negativen Konsequenzen eines harten Brexits jedoch nicht nur in einem erheblichen Preisanstieg, sondern auch in den administrativen Bereichen: „Die Arbeit würde sich schon deutlich erschweren. Wir würden wesentlich länger brauchen, bis Ersatzteile hier wären. Die Teile müssten durch den Zoll, sie würden bewertet werden. Mittlerweile warten wir so eine Woche auf Ersatzteile, und ich schätze mal, das könnte sich locker verdoppeln. Und ja, der administrative Aufwand wäre einfach wesentlich höher.“
English Shop in Köln ebenfalls vom Brexit betroffen
Genau diese Problematik kennt man auch im English Shop in der Kölner Innenstadt. Neben typischen Speisen und Getränken stehen in den Regalen des English Shop kleine rote Telefonzellen aus Porzellan sowie unzählige Wackelfiguren der Queen und ihrer Hunde – Ihre Majestät die Queen tanzt wackelnd und winkt den Menschen zu. Für ihr Alter ist sie erstaunlich beweglich. Neben ihr streckt der Welsh Corgi seine Hundezunge raus. Es riecht nach Earl Grey, und Baked Beans in Konserven füllen die Regale. Im Hintergrund läuft BBC-Radio. Die Sonne spiegelt sich im Schaufenster, auf dem in großen Lettern steht „Britain might leave the EU, but we´re still here. So a little part of Britain survives in the EU.“
Ein kleines Stück Vereinigtes Königreich in der Einkaufsmeile der Domstadt. „Den Laden gibt es seit 20 Jahren. Wir importieren Sachen aus England, aus Schottland, aus Irland und aus den USA, sogar aus Australien. Und bringen ebenso ein kleines Stück englische Kultur hier nach Köln“, erklärt Anna-Maria Böhm, Marketingleiterin des English Shop. Viele in Deutschland lebenden Briten finden dort ein kleines Stückchen Heimat wieder und decken sich mit ihren heimischen Spezialitäten ein. „Über den Geschmack kriegt man doch einfach die schönsten Erinnerungen aus der Kindheit“, erzählt Böhm.
Folgen sind nur schwer vorhersehbar
Doch wie steht es um den Import verschiedener Produkte aus England nach Köln, wenn der anstehende Brexit starken Einfluss auf die bisherigen Handelsbeziehungen nimmt? Das Verhältnis zwischen Euro und Pfund ist durch das Brexit-Referendum beeinflusst.
„Wenn das Pfund noch weiter sinkt, würde das unsere Preise auch senken. Es könnte sein, dass es sich nivelliert, es könnte natürlich auch sein, dass die Preise noch etwas steigen oder sogar etwas sinken. Das kann man jetzt nur schwer vorhersehen“, erklärt Böhm. Andererseits können erhöhte Zollgebühren negativen Einfluss auf die Preisentwicklung für die Konsumenten nehmen. Finden beispielsweise englisches Weingummi oder Cider den gewohnten Weg über die Grenze oder erschweren Zölle, Grenzkontrollen und Ähnliches die freien Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU?
Die Marketingleiterin sieht das größte Problem in den Grenzschlangen, die eventuell entstehen könnten. Für Touristen und Urlauber sei dies nicht ganz so schlimm. „… aber für Ware, die eventuell kaputtgehen kann, wenn sie zwei bis drei Tage an der Grenze steht, ist das natürlich fatal“, so Böhm. Sie spricht in diesem Zusammenhang von der Gefahr, die von einer sogenannten „Totzeit“ ausgeht. Das ist die Zeit zwischen der Bestellung und dem Erhalt der Ware, da für den Einkauf nicht abzuschätzen ist, was benötigt wird und was nachbestellt werden muss, da die Ware schlicht zu spät in Deutschland ankommt.
Gegen den Brexit wappnen
Die Unternehmen verbindet also vor allem eine Sorge: Mit welchem Brexit, sollte er kommen, ist überhaupt zu rechnen? Die Ungewissheit ist groß. Das sorgt für viel Aufregung bei den Briten. Im Inland sowie im Ausland. Diese rührt aus einem Mangel an Information und Ungewissheit über die Konsequenzen. Ständige Schwankungen zwischen hartem und softem Brexit, Uneinigkeit im britischen Parlament und ein Wechsel der politischen Führung verursachen Chaos und Unklarheit. Ein klarer und geregelter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist nicht abzusehen.
Andreas Schäfer versucht, dieser Ungewissheit mit seiner Arbeit entgegenzuwirken. Mit Fragen wie: „Woher beziehen wir unsere Produkte? Welche Zollabwicklungen kommen auf das Unternehmen zu, wenn die bestehenden Wertschöpfungsketten mit dem Vereinigten Königreich weitergeführt werden? Welche personellen Auswirkungen hat der Brexit auf Mitarbeiter in Großbritannien oder Deutschland?“ regt er die Unternehmen zu präventiven Maßnahmen an. Mit diesen können sie sich gegen den Brexit wappnen.
Vorbereitungen auf den Brexit nur beschränkt möglich
Anna-Maria Böhm vom English Shop findet es fraglich, ob an dieser Stelle Maßnahmen im Vorhinein getroffen werden können, um mögliche Lieferengpässe abzufangen: „Wir können leider nicht mehr machen, als das Lager zu füllen. Bei Lebensmitteln mit Haltbarkeitsdatum ist dies natürlich schwierig“, problematisiert sie. Auch die Maßnahmen in Koch´s Garage, um sich auf den Brexit vorzubereiten, sind beschränkt: „Die einzige Möglichkeit ist, Teile zu kaufen.“ Koch plant momentan schon Monate im Voraus. Er versucht sein Lager voll zu bekommen, sodass er im Falle eines harten Brexits schon einen Vorrat an Ersatzteilen hat, die er in der Zwischenzeit benutzen kann, während er sich an die neue Lage mit neuen Preisen und Abläufen anpasst.
Die Situation ist natürlich alles andere als wünschenswert. Denn Koch muss Teile auf Verdacht hinzulegen. Er muss versuchen, das zu bestellen, wovon er weiß, dass er davon in Zukunft mit Sicherheit Gebrauch machen wird. Damit geht er ein doppeltes Risiko ein. Er weiß nicht genau, ob er mit seinen Einschätzungen richtigliegt. Dazu kommt, dass dadurch auch Kapital gebunden wird, was schlecht für das Geschäft ist. Anders geht es aber momentan nicht, wenn man sich auf eine noch völlig offene und ungewisse Zukunft vorbereiten muss.
Mitarbeiter persönlich betroffen
Neben logistischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Brexit sind auch die Mitarbeiter des English Shop vom Austritt der Engländer aus der Europäischen Union betroffen. Konkret bedeutet das für einige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der englischen Staatsbürgerschaft und der Arbeitserlaubnis. „Bei den Mitarbeitern macht sich eine gewisse Unsicherheit breit, da nicht alle eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Die brauchen dann zum Beispiel eine Arbeitserlaubnis in Deutschland. Die schon länger in Deutschland Lebenden fragen sich, ob sie einen Pass brauchen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Also, es ist schon ein komisches Gefühl“, schildert Böhm die emotionale Situation.
Böhm und die Mitarbeiter aus dem English Shop Köln hoffen auf einen guten Ausgang. „Es ist einfach nur traurig. Wir hoffen sehr auf einen Deal, sprich auf Freihandelsabkommen. Das wäre super, weil das für unseren Laden hier nichts verändern würde“, schildert Anna-Maria Böhm. „Was mich am traurigsten stimmt, ist, dass ich jetzt schon öfter meine britischen Kollegen gehört habe: I´m embarassed to be British, also mir ist es peinlich, Brite zu sein. Und das sollte keiner seinem Landsmann antun mit seiner Stimme“, so Böhm.
Aron Koch aus der Werkstatt will trotz der düsteren Aussichten jedoch nichts davon hören, dass sein Geschäft aussterben wird. „Ein Auto wie zum Beispiel ein Aston Martin ist einfach ein zeitloser Klassiker. Es wird immer Leute geben, die bereit sind, auch dafür Geld zu bezahlen.“ Es stimmt, dass es wahrscheinlich teurer wird, wenn es zu keiner Zoll-Regelung kommt. Eventuell werden sich dadurch einige gegen britische Oldtimer entscheiden, aber trotzdem wird es vermutlich noch einige Kunden geben, die bereit sind, für ihre Leidenschaft etwas mehr Geld auszugeben.
Eine starke und stabile EU ist unabdingbar
Deshalb denkt Koch gar nicht erst an die Möglichkeit, sich umzuorientieren: „Ich glaube nicht, dass die Kunden deswegen ihr Hobby aufgeben werden. Sie werden weiter sparen müssen, es wird halt teurer werden, ja. Aber man wird dann andere Wege finden.“ Oldtimer sind nämlich für Koch und viele weitere Deutsche eine Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die auch der Brexit nicht zerstören kann.
Nervös schaut Andreas Schäfer auf seine Uhr. Ihm bleiben noch fünf Minuten, bis er für die nächste Telefonkonferenz in sein Büro zurückkehren muss. Brexit hin oder her, Schäfer zufolge ist eine starke und stabile EU aus wirtschaftlicher Sicht unabdingbar: „Der Großteil der deutschen Exporte, das bezieht sich genauso auf NRW, geht an die Europäische Union. Da haben die Unternehmen den Vorteil, dass sie mit dem Euro eine einheitliche Währung, offene Grenzen und einheitliche Gesetze haben. Das vereinfacht sehr viel und das ist etwas, um das uns viele andere Weltregionen beneiden.“
Im Schaufenster in Kölns Innenstadt steht unterdessen die Queen noch immer und winkt. Zum Abschied? Auf ein Wiedersehen? Vielleicht einfach nur, weil sie noch nie etwas anderes gemacht hat.
[box type=“info“ align=““ class=““ width=““]Der Text ist entstanden im Rahmen eines Praxis-Seminars im Master-Studiengang „Konvergenter Journalismus“ an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln unter Leitung von Prof. Dr. Frank Überall. Recherchiert und verfasst wurde er von den Studierenden Joana Bayer, Ariane Burg, Jan-Philipp Chluba, Melina Coniglio, Kai Försterling Beltrán, Joël Joseph Pütz, Celine Schäfer, Karla Schlier und Anika Zuschke. DIE WIRTSCHAFT KÖLN unterstützt als Kooperations- und Medienpartner der HMKW die Arbeit der herangehenden Journalisten.[/box]
Bildquellen
- Chaos und Unklarheit beim Brexit: pixabay.com
- Die Exporte, aber auch Importe sind schon aufgrund der Brexit-Entscheidung der britischen Wähler zurückgegangen.: pixabay.com
- Wie steht es um den Import verschiedener Produkte aus England nach Köln?: Jan-Philipp Chluba
- Mit welchem Brexit, sollte er kommen, ist überhaupt zu rechnen? Die Ungewissheit ist groß.: pixabay.com
- Vorbereitungen auf den Brexit sind nur beschränkt möglich.: pixabay.com
- Ein klarer und geregelter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist nicht abzusehen.: pixabay.com
- Die Unsicherheit bezüglich des Austritts der Briten aus der EU nimmt immer mehr zu.: pixabay.com