Schon um das Jahr 2010 herum wurde die Venloer Straße in Ehrenfeld komplett umgestaltet, um Verbesserungen zu erreichen. Sie sollte sicherer werden, Staus sollten die Ausnahme bleiben, und auch der Lieferverkehr sollte zu seinem Recht kommen. Daraus entwickelte sich ein viel zu schmaler Radweg, eine viel zu enge Fahrbahn für den Autoverkehr und ein Bürgersteig, der nicht zum Flanieren einlud, sondern bestenfalls dazu diente, husch husch, das Nötigste zu besorgen.
Wir schreiben das Jahr 2023. Über zehn Jahre war also Zeit, sich die Zustände auf der Venloer Straße anzuschauen, Anwohner zu befragen, die Meinungen von Händlern und Dienstleistern einzuholen und auch die am Verkehr beteiligten Personen zu Wort kommen zu lassen. Fußgänger, Radler und Autofahrer hätten sicherlich in weniger als einer halben Stunde sagen können, wo es knirscht und wie mit einfachen Mitteln deutliche Verbesserungen zu erzielen gewesen wären.
„Es herrschen Stau, Gehupe und Chaos“
Die Wirklichkeit beschreibt Marcus Sárkány, Betreiber der „Red Fox Bar“ in der Klarastraße, die nur einen Steinwurf von der Venloer Straße entfernt liegt: „An der einst wichtigsten Fußgängerampel von Ehrenfeld herrschen Stau, Gehupe und Chaos. Die Insel, die den Verkehr an der Ampel beruhigen soll, wird zum gefährlichen Nadelöhr. Wenn frei ist, beschleunigen die Pkw, um sich noch vor dem Gegenverkehr durchzumogeln. Für Fußgänger, die in der jetzt ausgewiesenen verkehrsberuhigten Tempo-20-Zone gleichberechtigt zu den anderen Verkehrsteilnehmern sind, eine gefährliche Situation.“
Will ein Auto abbiegen, ist ein Stau vorprogrammiert. Denn wenn die provisorischen Verkehrsinseln einmal verstopft sind, bildet sich ein Rückstau, der ein Abbiegen über die Fahrspur des Gegenverkehrs nicht mehr zulässt.
Venloer Straße: Mal wieder ein Stück Kölner Realsatire
Die Situation in Ehrenfeld ist jedenfalls so absurd, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Form des Satiremagazins Extra 3 sich des Themas annahm. „Sie wollen mal was erleben? Dann kommen Sie nach Köln-Ehrenfeld. Hier wurde ein aufregendes Verkehrskonzept gestartet.“ Dann wird ein Wirrwarr aus durchgeixten Markierungen, Stau und zögernden Fußgängern gezeigt. Letztere müssen all ihren Mut aufbringen, um von der einen auf die andere Straßenseite zu kommen. Denn die Ampeln sind abgeschaltet, Zebrastreifen gibt es auch nicht mehr, und gerade für Kinder auf dem Schulweg wird die Umgestaltung so gefährlich, dass Eltern ihren Nachwuchs wieder zur Schule begleiten.
Festzuhalten bleibt: Der von der Stadt ausgegebene Slogan „Weniger Verkehr, mehr Sicherheit“ ist schon jetzt ad absurdum geführt. Das Experiment läuft noch mehrere Monate weiter. Dann wird die nächste Stufe gezündet. Die Venloer Straße soll Einbahnstraße werden. Schon heute weichen Autofahrer auf Vogelsanger und Subbelrather aus. Die Anwohner dort dürfen mit noch mehr Verkehr rechnen.
Autofreie Deutzer Freiheit
Die Handwerkskammer zu Köln hat ihre Mitglieder befragt, wie sie den Verkehrsversuch „Autofreie Deutzer Freiheit“ bewerten. Neun von zehn befragten Betrieben bewerten den Verkehrsversuch dabei als negativ, lediglich ein Betrieb beurteilt die Maßnahme als positiv. Acht von zehn Betrieben berichten von einem Rückgang der Kundenanzahl und damit einhergehend von einem Umsatzrückgang. Zwei Betriebe berichten jedoch von Umsatzzuwächsen.
Viele der Handwerksbetriebe Fußgängerzone auf der Deutzer Freiheit, darunter Unternehmen im Optiker-, Friseur- und Kosmetik-Handwerk, haben einen Kundenstamm mit teils älteren Personen, die weniger mobil sind und diese Betriebe durch die entstandenen Verkehrseinschränkungen nur schwer erreichen können. Die aktuell vorgesehenen Lieferzeiten bis 11 Uhr berücksichtigen nicht die Bedürfnisse der Betriebe, sodass sich Wartezeiten auf Material erhöhen. Die Betriebe sind teilweise gezwungen, sich Waren zur eigenen Privatadresse schicken zu lassen. Zudem berichten sie, dass fehlende Stellplätze für Lieferverkehr ein weiteres Problem darstellen, denn durch die gegenwärtige zeitliche Begrenzung sind die verfügbaren Stellplätze oft bereits belegt.
Nur zufällig von Infoveranstaltung erfahren
„Die Handwerksbetriebe in der Deutzer Freiheit bemängeln, dass sie im Vorfeld nicht explizit in das Vorhaben einbezogen wurden. Es gab zwar zuvor eine Informationsveranstaltung, jedoch haben viele unserer Unternehmerinnen und Unternehmer davon nur zufällig erfahren, weil sie privat Anwohner in Deutz sind“, erklärt Garrelt Duin die Umfrageergebnisse und ergänzt: „So kann eine dermaßen gravierende Umgestaltung nicht angegangen werden. Die Informationspolitik der Stadt Köln muss sich an dieser Stelle schnell und konsequent ändern – und das örtliche Handwerk mit ins Boot holen, um die Versorgung der Kölner Bürgerinnen und Bürger mit handwerklichen Dienstleistungen und Waren weiterhin sicherzustellen.“
Handwerksbetriebe für Rückkehr zum alten Zustand
Die Umfrageergebnisse bilden die Wunschlösung der betroffenen Handwerksbetriebe in der Deutzer Freiheit eindeutig ab: Sieben von zehn Unternehmen wünschen sich eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand, inklusive der Wiederherstellung der Parkplätze. Für die Verkehrsberuhigung von Nebenstraßen, bei der die Einkaufsstraße befahrbar bliebe, spricht sich lediglich ein Unternehmen aus; für eine verkehrsberuhigte Zone, in der alle Verkehrsteilnehmenden 20 Stundenkilometer schnell fahren dürfen, ebenfalls nur ein Unternehmen.
Auch für die Option, mehr Ladezonen mit unbegrenzter zeitlicher Nutzung sowie Parkausweise für Gewerbetreibende einzurichten, spricht sich ein Unternehmen aus. „Damit ist der Versuch in unseren Augen gescheitert. Wir sprechen uns gegen einen generellen Parkplatzabbau und undurchdachte Konzepte autofreier Zonen aus, wirken aber gerne bei der Erarbeitung einer Lösung mit, die die nutzerspezifischen Belange des Handwerks berücksichtigt“, appelliert Duin.
Handwerkskammer schlägt „Wirtschaftsparkplätze“ vor
Der stetige Rückbau von Parkplätzen in allen Stadtbezirken Kölns, vor allem aber auch in der Innenstadt, nimmt Handwerksbetrieben die Möglichkeit, ihre Werkstattfahrzeuge direkt an Baustellen und beim Kunden abzustellen. Dies wiederum ist erforderlich, um überhaupt arbeiten zu können, da die Nutzfahrzeuge des Handwerks sowohl als mobile Werkstatt als auch mobiles Lager dienen.
Ein fließender Wirtschaftsverkehr und ausreichend Stellplätze für liefernde und leistende Handwerker sind – bekanntermaßen – zur Aufrechterhaltung der Versorgung von Bürgern mit handwerklichen Dienstleistungen unverzichtbar.
Um dieses Problem konstruktiv anzugehen, hilft der berühmte Blick über den Tellerrand. Als Best-Practice-Beispiel für mutige, progressive Verkehrspolitik bringt die Handwerkskammer „Wirtschaftsparkplätze“ nach Münchner Vorbild ins Spiel.
Oranges Piktogramm zeigt Männchen mit Sackkarre
Diese – eigens für den Wirtschaftsverkehr – geschaffenen Stellplätze sind in München in Orange markiert und zeigen ein stilisiertes Männchen, das eine Sackkarre vor sich herschiebt. Auf diesen Stellplätzen dürfen Entsorgungsfahrzeuge halten, Post und Paketdienste und andere Lieferanten be- und entladen. Zudem können Handwerkerinnen und Handwerker für die Dauer ihres Arbeitseinsatzes mit ihrem Parkausweis dort parken. An Werktagen zwischen 19 und 8 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen dürfen auch Anwohner mit einem Anwohnerparkausweis die Stellflächen nutzen.
Ausgewogenes Verkehrskonzept erforderlich
Garrelt Duin, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, macht deutlich: „Mit unserem Vorschlag wollen wir vermeiden, dass Anfahrtskosten explodieren und sich Handwerkerleistungen damit ungewollt verteuern. Im Übrigen trägt die Reduzierung unnötiger gewerblicher Parksuchverkehre zur Verbesserung der Luftqualität bei.“ Die Handwerkskammer ist zudem der Auffassung, dass, bevor Parkplätze im öffentlichen Raum zurückgebaut werden, darüber beraten werden muss, inwiefern diese Stellplätze für die gewerbliche Wirtschaft von Bedeutung sind.
Den vorgelegten Vorschlag sieht Duin als Diskussionsgrundlage: „Wir brauchen ein ausgewogenes Verkehrskonzept sowohl für den fließenden als auch den ruhenden Verkehr. Eine fehlgeleitete Verkehrspolitik darf nicht dazu führen, dass Versorgungsketten geschwächt oder gar unterbrochen werden. Darunter würde in absehbarer Zeit auch die Lebensqualität in unseren Städten leiden. Politik und Verwaltung sind jetzt am Zug.“
(Heribert Eiden)
Bildquellen
- Deutzer Freiheit: Stadt Köln
- Pakete: Bild von Alexander Fox | PlaNet Fox auf Pixabay
- Venloer Straße: Alex Weis