Eine Narkose ist eine Belastung für den Körper, unabhängig vom Alter der Patienten. Weil insbesondere in der Anästhesiologie in den vergangenen 20 Jahren enorme wissenschaftliche Fortschritte gemacht wurden, ist die Sicherheit von Narkosen heute extrem hoch. Dennoch gibt es gerade bei älteren Patienten bestimmte Besonderheiten zu beachten. Einerseits, da sich im Laufe der Zeit wichtige Körperfunktionen verändern und sie daher stärker auf Narkosemedikamente ansprechen, und andererseits, weil ältere Menschen mehr Vorerkrankungen haben und häufig regelmäßig Medikamente nehmen. Daher müssen die Narkosemittel bei älteren Menschen ganz individuell angepasst werden. Es gilt vor allem, eine Überdosierung zu verhindern.
Jeder hat eine andere Konstitution
Es fängt schon bei der Definition an. Der Begriff „ältere Patienten“ ist nicht eindeutig genug. Da hilft auch keine Eingrenzung auf ein bestimmtes Lebensalter. Unsere Lebensumstände haben sich in den letzten Jahrzehnten so sehr verändert, dass der Blick auf das Geburtsdatum nur ein Indiz für eine medizinische Einschätzung sein kann. Ein 75-jähriger Patient, der jeden Tag zwei Stunden mit seinem Hund spazieren geht, ist in einer gänzlich anderen körperlichen Verfassung als ein gleichaltriger Patient, der bereits pflegebedürftig oder immobil ist. Dasselbe gilt natürlich auch für jüngere Patienten.
Aber auch wenn ein älterer Patient noch fit und aktiv ist, sind die Körperfunktionen nicht mehr mit denen eines 30-Jährigen zu vergleichen. Die biologischen Reserven nehmen ab dem 40. Lebensjahr merklich ab. Das gilt für Herz, Niere und Leber ebenso wie für das Immunsystem und die Muskelmasse. Die körperliche Verfassung ist ausschlaggebend für die Medikation. Daher achtet die Anästhesiologie heute mehr auf die individuelle Konstitution als auf das Geburtsjahr.
Und es gibt weitere Parameter, die die Wirkung der Medikamente beeinflussen können: Besteht eine Mangelernährung, wie selbstständig ist der Patient, wie ist seine psychische Konstitution? All dies muss bei der Planung einer Narkose berücksichtigt werden, um den Patienten so weit wie möglich zu schonen und den Idealzustand herzustellen: So flach wie möglich und so tief wie nötig soll die Narkose sein.
Vorerkrankungen beachten
Kaum ein älterer Patient ist noch völlig gesund. Die meisten älteren Menschen haben Nebenerkrankungen, die für eine Narkose relevant sind und beachtet werden müssen. Insbesondere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder Diabetes stehen hier im Fokus, weil Komplikationen während der Narkose bei Patienten mit solchen Erkrankungen statistisch häufiger auftreten.
Die Dosierung der Medikamente bei einer Narkose muss der physiologischen Abnahme bestimmter Organfunktionen angepasst werden. So muss eine eingeschränkte Nierenfunktion oder eingeschränkte Leberfunktion berücksichtigt werden, weil in diesem Fall der Abbau der Medikamente länger dauert.
Warum nüchtern sein?
Grundsätzlich werden bei der Narkose natürliche Schutzfunktionen des Körpers aufgehoben. Das kann beispielsweise dazu führen, dass der Mageninhalt aufsteigt und eingeatmet wird. Befindet sich Mageninhalt in der Lunge, dann besteht das Risiko einer Lungenentzündung. Dies ist ein Grund dafür, dass Patienten vor einer Narkose unbedingt nüchtern sein sollen. Finden operative Eingriffe geplant statt, so ist dies möglich. Ist dagegen ein Notfalleingriff notwendig, ist Nüchternheit nicht gewährleistet.
Das Narkosemittel
Für die Narkose stehen heute verschiedene Medikamente zur Verfügung. Sie dienen der Schmerzstillung (Analgetika), dem Schlaf (Hypnotika) und der Muskelentspannung (Relaxantien). Die Zusammensetzung und Verwendung der verschiedenen Medikamente wird einerseits auf die Körperverfassung abgestimmt, andererseits werden bestimmte Medikamente bei älteren Patienten eher vermieden. Hierzu zählen beispielsweise lang wirksame Opioide, da diese bei älteren Patienten extrem lange nachwirken und auch in Bezug auf die kognitiven Leistungen starke Nebenwirkungen haben können.
Nachwirkungen der Narkose
Je älter die Patienten sind, desto höher ist das Risiko, dass nach einer großen Operation Verwirrtheitszustände auftreten, auch Postoperatives Delir genannt. Dabei kann es vorkommen, dass die Patienten nach einer lang andauernden Narkose verändert wieder aufwachen. Es kann zu Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, Desorientierung und aggressivem Verhalten kommen. Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht. Eine entscheidende Rolle wird dabei der Reaktion des Gehirns auf entzündliche Prozesse im Körper zugeschrieben. Die Kombination aus Narkosemitteln, Schmerzbotenstoffen, Entzündungsmediatoren und Stresshormonen führt zu Veränderungen der Kommunikation der Nervenzellen untereinander und zur Schädigung von Nervenzellen im zentralen Nervensystem.
Dabei scheint das Gehirn von älteren Menschen anfälliger zu sein als das von jungen. Ein Delir kann vor allem bei lang anhaltenden Narkosen oder längeren Aufenthalten auf einer Intensivstation auftreten und wird vermutlich durch Faktoren wie Alter, Demenz und Alkoholgebrauch begünstigt. Als gesichert gilt, dass das Gleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn durcheinandergerät. Das Postoperative Delir kann nach ein paar Tagen wieder weg sein, es kann aber auch zwei, drei, vier Wochen dauern, ist aber in den meisten Fällen reversibel.
Um derlei Risiken zu reduzieren, werden ältere Patienten während einer Narkose sehr intensiv überwacht. Die Körperwärme und der Sauerstoffgehalt des Bluts müssen stabil bleiben, jegliche Kreislaufinstabilitäten sollen verhindert werden. Eine strenge Kontrolle der Dosierung der Narkose mit besonders kurz wirkenden Medikamenten, generell kurze Narkosezeiten und minimalinvasive Operationstechniken sind ebenso wichtig wie eine frühe Mobilisation nach dem operativen Eingriff. Ebenfalls von großer Bedeutung ist – auch als Vorbeugung – eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitszufuhr, da Flüssigkeitsdefizite zu den Risikofaktoren gehören.
Was der Patient tun kann
Das Narkosegespräch im Vorfeld eines operativen Eingriffs dient auch dazu, den Anästhesisten über die individuelle körperliche Verfassung des Patienten zu informieren. Auch der Patient selbst kann seinen Beitrag für eine gute Vorbereitung auf eine Vollnarkose leisten. Dazu gehört auch, im Gespräch mit dem Anästhesisten ehrlich seinen wirklichen Zustand zu erklären. Und es ist notwendig, nichts zu verheimlichen – vor allem keine Beschwerden oder Vorerkrankungen. Auch wenn die Fragen, ob der Patient noch Treppen steigen kann oder was er im Haushalt noch gut schafft, nebensächlich erscheinen, so sind die Antworten für den Anästhesisten elementar. Um den Patienten bestmöglich auf die Vollnarkose vorzubereiten, muss der Arzt alles wissen. Dazu gehört auch, bestehende Ängste oder gegebenenfalls schlechte Erfahrungen bei einer zurückliegenden Narkose anzusprechen.
Bei älteren Patienten dauert die Erholung von einer Narkose nach der Operation in der Regel länger als bei jüngeren. Der Körper braucht mehr Zeit, weswegen es auch zu einer vorübergehenden körperlichen Schwäche kommen kann. Hier bekommt die gute Nachsorge eine besondere Bedeutung. Gegebenenfalls sollte sich der Patient Unterstützung für zu Hause holen.
Und das Klima?
Die Verantwortung für das weltweite Klima hört nicht vor dem Operationssaal auf. Und so sind auch die verschiedenen Narkosegase auf ihre Auswirkungen auf das Klima untersucht worden. Das Ergebnis zeigt, dass sich die Treibhauswirkung der verfügbaren Narkosegase ganz erheblich unterscheidet. Allen gemeinsam ist, dass sie eine im Vergleich zu Kohlendioxid bis zu 1.600-fach höhere Treibhauswirkung haben. Eines der klimaschädlichsten Narkosegase ist Untersuchungen zufolge das Lachgas. Lachgas sollte daher eigentlich nicht mehr in der klinischen Routine eingesetzt werden, sondern nur diejenigen Narkosegase, die den geringsten Einfluss auf die Klimaveränderung, also den geringsten CO-Fußabdruck, haben.
(Gastautor: Tom Kurthen, Facharzt für Anästhesiologie, Klinik LINKS VOM RHEIN)