Der deutschen Wirtschaft steht ein schwerer Winter bevor und auch die Aussichten für das kommende Jahr 2023 sind aktuell in vielen Branchen eher düster. Mit 10,0 Prozent stieg die Inflationsrate im September 2022 auf den höchsten Wert seit Dezember 1951, wie das Bundeswirtschaftsministerium bekannt gab.
Durch das Auslaufen der dreimonatigen Entlastungen mit dem 9-Euro-Ticket und dem Tankrabatt stiegen die Verbraucherpreise deutlich an. Seit fast 71 Jahren gab es in Deutschland keine derart hohen Preissteigerungen. Und obwohl viele Branchen immer schlechter in die Zukunft blicken, ist die Lage am Arbeitsmarkt weiter stabil. Laut Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) sind Frühindikatoren zwar gesunken, sie sprächen aber dafür, dass die Unternehmen trotz drohender Rezession ihre Mitarbeiter halten wollen und werden. Im ersten Halbjahr 2022 meldeten deutsche Amtsgerichte vier Prozent weniger beantragte Unternehmensinsolvenzen als im ersten Halbjahr 2021. 7.113 Unternehmensinsolvenzanträge gingen zwischen Januar und Juni 2022 bei den Gerichten ein. Allerdings würden aktuelle Frühindikatoren und Umfragen auf eine Trendwende beim Insolvenzgeschehen in den kommenden Monaten hindeuten. Eine „Insolvenzwelle“ sei aber derzeit jedoch nicht in Sicht. Die Folgen des Krieges in der Ukraine und die dadurch drastisch gestiegenen Energiepreise stellen für viele Unternehmen allerdings Belastungen dar, deren Auswirkungen sich auf das Insolvenzgeschehen nur schwer abschätzen lassen, wie das BMWK einräumt.
Weiterhin werden eine hohe Inflation und ein geringes Wirtschaftswachstum erwartet. Die Bundesregierung musste Prognosen in letzter Zeit immer wieder substanziell korrigieren. Das BMWK stellt fest, dass sich aufgrund der versiegten Gaslieferungen aus Russland die wirtschaftlichen Aussichten der Unternehmen in Deutschland nochmals stark eingetrübt haben. Vor allem Betriebe der energieintensiven Industrie fuhren Produktionen stark zurück. Lediglich der Außenhandel konnte nominal noch ein kleines Plus verzeichnen. Doch aufgrund der hohen Preissteigerungen bleibt von dem kleinen Plus jedoch nichts übrig. Über den Winter rechnet die Bundesregierung sogar mit einer Rezession. Diese werde aber wohl kaum Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Jüngste Anstiege bei der Arbeitslosigkeit führt der Bund ausschließlich auf die Fluchtmigration aus der Ukraine zurück.
Industriebetriebe angeschlagen
Die Produktion im Produzierenden Gewerbe in Deutschland sank im August gegenüber dem Vormonat leicht um 0,9 Prozent. In der Industrie blieb der Ausstoß nahezu unverändert (- 0,1 Prozent). Deutliche Rückgänge bei Produktion und Aufträgen gab es allerdings im Baugewerbe und Bereich Energie mit 2,1 bzw. 6,1 Prozent. Zuwächse gab es hingegen in den Industriebereichen Kfz/Kfz-Teile sowie im Maschinenbau mit 2,1 und 6,1 Prozent mehr Aufträgen. Eine spürbare Abnahme ihrer Produktion meldeten Betriebe der energieintensiven Wirtschaftszweige chemische Erzeugnisse (-3,1 Prozent), Glas, Glaswaren und Keramik (-2,8 Prozent) sowie Kokerei und Mineralölverarbeitung (-4.5 Prozent). Insgesamt sind bei Industriebetrieben die Auftragseingänge im August 2022 gegenüber dem Vormonat saisonbereinigt um 2,4 Prozent gesunken, wie das BMWK meldet. Im Juli wurde noch ein Auftragsplus von 1,9 Prozent verzeichnet.
Die Industriekonjunktur ist aufgrund der hohen Gas- und Strompreise wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine angeschlagen. Das Geschäftsklima ist in dieser Branche spürbar abgekühlt. Zurückhaltende Exporterwartungen führen zu einem gedämpften Ausblick auf die kommenden Monate. Allgemein tun sich die Wirtschaftsunternehmen in Deutschland schwer damit, verlässliche Aussagen zu ihren Aussichten hinsichtlich der Entwicklung ihrer Geschäftslage zu treffen. Diese Einschätzung ist von massiven Unsicherheiten geprägt. Daher gibt es derzeit eine große Lücke zwischen der derzeit noch moderaten Einschätzung ihrer aktuellen Geschäftslage und dem Blick in die Zukunft.
Konjunkturelle Sorgen in NRW
In Nordrhein-Westfalen hat sich die Stimmung der Wirtschaftsbetriebe weiter eingetrübt. Das NRW.BANK.ifo-Geschäftsklima sank im September den vierten Monat in Folge, und das branchenübergreifend und nochmals deutlich. Die anhaltend hohen Preissteigerungen sorgen für immer größere Probleme, die Inflation führt nicht nur zu Verlusten bei der realen Kaufkraft, sie macht auch Produktionen immer unrentabler. Daher sank der Geschäftsklimawert im September 2022 um 7,7 Saldenpunkte und fiel auf minus 15,5 Punkte. Die Stimmung hat sich in sämtlichen Wirtschaftsbereichen weiter eingetrübt. Die Betriebe melden eine verschlechterte Lage, gleichzeitig sind auch die Erwartungen für die Zukunft gegenüber dem Vormonat deutlich schlechter. Nur zu Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 war die Stimmung bei den Unternehmen in NRW noch etwas pessimistischer, als es aktuell der Fall ist. „Die Erwartungen der nordrhein-westfälischen Unternehmen für das nächste halbe Jahr sind deutlich schwächer als noch in den vergangenen Monaten“, sagt Eckhard Forst, Vorsitzender des Vorstands der NRW.BANK, und fügt hinzu: „Die konjunkturellen Sorgen sind insbesondere auf den starken und breiten Anstieg der Preise zurückzuführen. Denn die Inflation führt nicht nur zu einem Verlust an realer Kaufkraft. Sie macht auch die Produktion unrentabler, insbesondere in energieintensiven Branchen wie etwa der chemischen Industrie.“
Rückgang beim Wohnungsbau
Während Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober noch optimistisch war, das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen jährlich einhalten zu können, deuten die aktuellen Meldungen aus dem Bauhauptgewerbe darauf hin, dass das Ziel deutlich verfehlt werden dürfte. Dies ist die Branche, die derzeit besonders pessimistisch in die Zukunft blickt. Hohe Kosten für Material und Energie belasten die Baufirmen genauso wie die Zinswende der EZB, was Bauen durch höhere Zinsen für Kredite und Hypotheken zusätzlich verteuert und zu weniger Aufträgen führt, und die Betriebe melden immer häufiger, dass bestehende Aufträge aufgrund der höheren Finanzierungskosten zunehmend storniert werden. In den nächsten drei Monaten glauben sämtliche Baubranchen an rückläufige Bautätigkeiten. Die Stimmung im nordrhein-westfälischen Wohnungsbau ist laut NRW.BANK.ifo-Geschäftsklima besonders schlecht.
Die hohe Inflation belastet zudem Gastronomie- und Logistikbetriebe. In beiden Branchen ist die Stimmung merklich eingetrübt. Gegenüber dem Vormonat August wurde die Lage im September deutlich schlechter bewertet. Zudem fürchten die Betriebe in den kommenden Monaten weitere Verschlechterungen ihrer Geschäftslage. Besonders die Gastronomiebetriebe stellen sich aufgrund der hohen Kaufkraftverluste auf schwere Zeiten ein. Die Logistikbranche leidet zunehmend unter den hohen Kosten für Treibstoffe.
Beschäftigungsrückgang im Handel?
Den Handelsunternehmen in NRW macht die Inflation massiv zu schaffen. Erstmals seit über zwei Jahren haben mehr als die Hälfte der Groß- und Einzelhandelsbetriebe ihre Lage als negativ bewertet. Postpandemische Nachholeffekte beim Konsum seien größtenteils abgeschlossen und in Erwartung weiterer Preissteigerungen und des Kaufkraftverlusts der Bevölkerung fällt der Ausblick düster aus. Daher planen viele Händler bereits, ihre Belegschaft zu reduzieren.
Eine Eintrübung des Geschäftsklimas ist auch im Verarbeitenden Gewerbe zu sehen. Die Betriebe waren zuletzt unzufriedener mit ihren Geschäften. Viele melden einen gesunkenen Auftragsbestand und blicken daher pessimistischer auf das nächste halbe Jahr. Die Stimmung in dieser Branche war letztmals während des Coronalockdowns im April 2020 so pessimistisch. Auch in anderen Industriebranchen haben sich Geschäftslage und Ausblick verschlechtert. In der energieintensiven chemischen Industrie ist die Stimmung besonders schlecht. In dieser Branche war das Klima letztmals vor über zehn Jahren so negativ. Vor allem die massiven Steigerungen bei Gaspreisen belasten die Branche massiv, die Produktion musste daher in historischem Ausmaß gedrosselt werden, wie das NRW.BANK.ifo-Geschäftsklima zeigt. Die Stimmung der Hersteller von Nahrungsmitteln und Metallerzeugnissen ist sogar auf ein Allzeittief gesunken. Lediglich in der Elektroindustrie gab es ein Stimmungsplus, da hier zuletzt die Produktion merklich anzog.
(Christian Esser)